Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos
1968, BR Deutschland, 103 min.
Der Artist Manfred Peickert träumt in der Zirkuskuppel von neuen Ideen, stürzt jedoch tödlich ab, bevor er sie realisieren kann. Seine Tochter Leni leistet Trauerarbeit und möchte ihren eigenen "Reformzirkus" gründen. Statt Dressur, Clowns und Akrobatik sollen Stücke aus der realen Welt präsentiert werden. Ihre Finanzierungspläne scheitern zunächst, erst als sie von ihrer verstorbenen Freundin Gitti ein Vermögen erbt, steht das utopische Unternehmen vor der Verwirklichung. Das Programm nimmt konkrete Gestalt an, doch je näher die Premiere rückt, desto mehr sind die Beteiligten sich uneins, desto mehr verliert das Konzept an Kraft und ein Scheitern ist kaum noch abzuwenden; auch die Kritiker sind auf einer Pressekonferenz nicht zu überzeugen. Mit dem Eingeständnis "Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten" denkt Sie über den Abbruch des Experiments nach.
Regie Alexander Kluge Buch Alexander Kluge, aus: Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos. Die Ungläubige. Projekt Z. Sprüche der Leni Peickert. München: Piper Verlag 1968 Darstellende Hannelore Hoger, Alfred Edel, Siegfried Gaue, Bernd Hoeltz, Eva Oertel, Kurt Jürgens u.a. Regieassistenz Dagmar Klaiber Kamera Günter Hörmann, Thomas Mauch Kameraassistenz Dietrich Lohmann, Frank Brühne Schnitt Beate Mainka-Jellinghaus Schnitt-assistenz Maximiliane Mainka Ton Bernd Hoeltz Musik Liviane Gomóri, Helmuth Löttler Sprecher*in Alexandra Kluge, Hannelore Hoger, Fritz Hollenbeck
Produzent Alexander Kluge Aufnahmeleitung Bernd Hoeltz, Ingeborg Pressler Produktion Kairos-Film, München 1968 Dreharbeiten Juli 1967- September 1967 in München, Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt am Main Erstverleih Constantin Film GmbH, München Format 35 mm, schwarz-weiß mit Farbteilen, 1:1,37, 103 Min. Uraufführung 30. August 1968, Venedig, Filmfestspiele
Ratlos ist kein negatives Attribut. Ratlosigkeit ist ein Zustand, der Suchbegriffe in Gang setzt. Besser ratlos als tatenlos. Das Wort ratlos zeigt, dass es eine ernste Frage gibt, die ungelöst ist.
Eine solche Frage, die bei mir einen emotionalen Zwiespalt erzeugt, ist bis heute das »Allmachtsgefühl in uns«.
Sigmund Freud hat es als Höhepunkt der psychischen Entwicklung und zugleich als Absturz beschrieben. Ohne solchen Elan wären wir Menschen der Macht des Faktischen ohnmächtig ausgesetzt. Wir brauchen nicht nur den Mut des Erkennens, sondern auch den zu Handlungen – und dem können wir nicht folgen, ohne uns zu irren.
(…) Ratlos sein = Weiterfragen.
- Alexander Kluge 2021
Die unbezähmbare Leni Peickert
Die Zirkusdirektorin Leni Peickert und ihr ehemaliges Team schaffen es, einen subversiven Film in die Abendnachrichten zu schleusen. Doch der Beitrag erregt bei den Zuschauern keinerlei Aufmerksamkeit, wodurch die Aktion ins Leere läuft. Leni und ihr Team werden daraufhin entlassen und kehren zum Zirkus zurück und verwandeln ihn in eine subversive Kampfgruppe. Der B-Film zu „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“.
Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten.
- Leni Peickert
Allmachtsphantasien gehören zum Zirkus. Aber sie finden sich auch in jeder Revolution und in jeder REBELLION DER GEFÜHLE. (…) Es ergab sich die Frage: Wie reagiert eine politische Intelligenz, die in akademischer Artistik geschult ist, auf die Robustheit der Gesellschaft, deren Basis auf Arbeit, technischer Geschicklichkeit und Überlebenswillen beruht. Verkürzt hieß das: Wie verhalten sich Künste hoch in der Zirkuskuppel zum Boden der Manege. Zur Bodenhaftung überhaupt.
- Alexander Kluge 2021
Aus Anlaß der Ausstrahlung von „Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos“ im ARD-Programm fand eine Fernsehdiskussion statt. Hier, also in einer Sphäre, die Marx zum „gesellschaftlichen Überbau“ zählen würde, war die kulturrevolutionäre Basislinie des Protests soeben angelangt. Krach zwischen den Fronten. Ein Zeitdokument.
- Alexander Kluge